Weniger ist manchmal mehr – Wie der Rückzug aus dem Tagesgeschäft der Schlüssel zur erfolgreichen Nachfolge sein kann

Jeder Unternehmer kennt die Situation direkt nach einer Gründung. Bis die Prozesse laufen, kämpft man im Betrieb als Allrounder an allen Fronten. Unabhängig von der Art des eigenen Geschäfts sorgt man sich um Aufträge, die entsprechende Außenwahrnehmung, die Abwicklung des Auftrages und um die Fragen der Kunden nach dem eigentlichen Kauf. Im Laufe der Etablierung des Geschäfts wird weiteres Personal eingestellt, was bei den genannten Aufgaben unterstützt. Häufig bleibt der Unternehmer jedoch in jeder Funktion tonangebend und ist im Tagesgeschäft daher auch für die Mitarbeiter kaum wegzudenken. Natürlich haben dann Nachfolger aus der eigenen Familie und auch potentielle Käufer des Betriebes Respekt vor einer Übernahme – droht doch beim Ausscheiden des Gründers/in ein Zusammenbruch oder zumindest ein erhebliches Schrumpfen des Geschäfts. Aus Sicht des Übernehmers scheint es daher sinnvoll, wenn der Übergeber sich vorab bereits langsam aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und damit den Weg für einen Nachfolge bereitet hat.

Hierbei helfen uns Erfahrungen anderer Unternehmer, die ähnliche Herausforderungen erfolgreich gemeistert haben. Vor kurzem erst sprach ich mit einem Hotelunternehmer, Besitzer und Leiter eines Ferienressorts auf Mallorca, über dieses Phänomen. Er berichtete mir über seinen eigenen Werdegang. Er hatte seine stattliche Hotelanlage in den vergangenen 10 Jahren selbst aufgebaut und beim Bau der malerisch am Berg liegenden Anlage bei vielen Themen selbst mit Hand angelegt. In 2006 startete er mit seiner Familie den Betrieb des Ressorts. Trotz eines Teams an Service- und Reinigungskräften managten er und seine Frau das Tagesgeschäft als Empfangspersonal, Servicekraft, Koch, Reinigungskraft sowie Hausmeister im Wesentlichen selbst. Das Ressort wurde mit der Zeit immer ansehnlicher, da alle Kraft in die Verschönerung der Anlage und in die Verbesserung des Services gesetzt wurde. Im Tagesgeschäft und im Gespräch mit seinen Kunden entdeckte er immer wieder neue Ansätze, um einen Aufenthalt in seinem Hotel noch besser zu gestalten. Das Geschäft wuchs und gedieh bis vor 3 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt erlitt er einen Burn-out und musste gezwungenermaßen mit einem Mal kürzer treten. Das Geschäft und die Belastung auf seine Person waren so angewachsen, dass er dem Druck nicht mehr standgehalten hatte. Der ehemals kleine familiäre Betrieb war zu einem stolzen Unternehmen angewachsen, was ihn als zentrale Leitungsfigur überforderte. Unser Hotelier stand auch vor der Frage, wie er seine Ideen für die Zukunft weiterdenken und umsetzen konnte, wenn ihn das Tagesgeschäft weiterhin so beanspruchen würde. Auch wenn die Situation nicht unmittelbar auf eine Übergabe hinauslief, so stand der Hotelier vor derselben Herausforderung wie viele Übergeber: Er wollte das Tagesgeschäft unabhängiger von seiner Person gestalten.

Ein erster Schritt war eine Betriebsversammlung, in der er allen Angestellten aufforderte, künftig nach den Maßstäben des Hauses stärker eigenverantwortlich tätig zu werden. Die Maßstäbe des Unternehmens formulierte er in wenigen Worten: Respekt vor jedem Gast, herausragende Freundlichkeit und ein ausgeprägter Servicegedanke. Noch während seiner krankheitsbedingten Abwesenheit stellte sich heraus, welche Mitarbeiter in ihren Funktionen mit den neuen Maßgaben gut umgehen konnten. Fortan mussten tagtäglich eigenständig Entscheidungen zum Wohl und Weh des Unternehmens getroffen werden, ohne dass der Chef zu Rate gezogen werden konnte. Die passenden Mitarbeiter fingen an Abläufe zu dokumentieren und selbsterklärend zu organisieren, um sie bestehenden und neuen Kollegen schneller vermitteln zu können und die Fehleranfälligkeit zu reduzieren. Diese wurden viel später auch offiziell zum Teamleiter ernannt. Es bildeten sich somit in der Gastronomie und im Housekeeping schon bald Standards heraus, nach denen die Arbeit erledigt wurde. Regelte sich dieser Prozess nicht von alleine, so unterstützte der Chef nach seiner Rückkehr dabei. Auch wenn das Unternehmen in dieser Zeit einige Schwierigkeiten mit der neuen Arbeitsweise zu verkraften hatte, so ebnete diese Krise den Weg für mehr Unabhängigkeit des Unternehmers.

Einige Zeit später verfeinerte unser Hotelier sein selbst entworfenes „System der Selbststeuerung“ noch, indem er für jedes Team individuelle Zielvorgaben entwarf. Somit waren weitere Leitplanken gesetzt, die den eigenständigen Teams als Orientierung dienten und sie gleichzeitig motivierten, da eine Zielerreichung mit Anerkennung belohnt wurde. Zusätzlich galt weiterhin das beschriebene Wertegerüst, welches etabliert und gelebt wurde und somit in den Köpfen der Mitarbeiter verankert war. Dies war die Basis, auf der die Mitarbeiter zu selbstbewussten Entscheidern werden und dem Unternehmer schließlich viel Arbeit abnehmen konnten.

Die Unternehmergeschichte des Hoteliers zeigt uns, welche Schritte jeder Unternehmer aktiv in Vorbereitung zu seiner Unternehmensnachfolge gehen kann. Erschaffen sie sich ihr eigenes System von Leitplanken, bestehend aus

  • einer richtungsweisenden Unternehmenskultur,
  • einem passenden Wertegerüst und
  • konkreten Zielvorgaben für die Mitarbeiter.

Auf diese Weise entlasten sie sich nicht nur selbst, sondern machen einen möglichen Unternehmenskauf für einen potentiellen Nachfolger auch bedeutend attraktiver.

Autorin: Dr. Gerlinde Brinkel

Laden Sie hier auch die ganze Ausgabe 81 von FranchiseERFOLGE herunter.

Kommentare sind geschlossen.